Haltung: Künstlerische Intelligenz trifft auf künstliche Intelligenz, Teil 2

Mein Text vom vom 4. Juni enthielt einen kleinen Schriftwechsel zwischen ChatGBT und mir (☛ könnt Ihr hier noch mal nachlesen).

Ihr wart in Euren Reaktionen erstaunt bzw. verblüfft. Kann ich gut nachvollziehen.

Wenn es um KI geht, muss ich immer an ein Gespräch denken, das ich vor ein paar Jahren mit Professor Jürgen Schmidhuber geführt habe, der sich ziemlich viel mit KI beschäftigt und entsprechend gut damit auskennt.

Der Rahmen unseres Gesprächs war ein Neujahrsempfang, der Aufhänger sein Vortrag, der ein derart düsteres Zukunftsszenario zeichnete, dass ich es dabei nicht belassen wollte. Ich ging auf ihn zu mit der Frage, ob denn die Kreativität des Menschen, also seine „künstlerische Intelligenz“, nicht immer einen Vorteil gegenüber der KI behalten würde.

Es entstand ein leidenschaftliches Gespräch, von dem Zuhörende, wie auch der Professor selbst, später sagen würden, es wäre ein Mehrwert für die gesamte Veranstaltung gewesen, hätte unser Schlagabtausch auf der Bühne statt gefunden.

Die wichtigsten Erkenntnisse, die ich aus diesem Gespräch mitgenommen habe bzw. die mir in den Wochen danach kamen, möchte ich nun so knackig es irgend geht in Form dieser fünf Punkte mit Euch teilen:

1.

Wenn ich komponiere, heißt das im Wesentlichen: Ich verarbeite Input (Emotionen, Wissen, Eindrücke, Erkenntnisse, Erfahrungen etc.). Dieses Verarbeiten führt dazu, dass ich Verbindungen herstelle. Ich verbinde Töne miteinander. Akkorde. Buchstaben. Wörter. Wie auch immer ich diese Verbindungen herstelle, ich greife dabei immer irgendwie auf etwas zurück, das es schon gibt. Das Neue, das Kreative besteht also vor allem darin, dass ich etwas, dass es schon gibt, so verbinde, dass es im Ergebnis möglichst originär wirken kann.
Mit Blick auf diesen Prozess unterscheide ich mich also erst mal nicht von einer Maschine, die auf Informationen zurückgreift, um daraus beispielsweise Texte zu erstellen. Naja, mit einer Einschränkung: Eine Maschine wird keine Emotionen miteinbeziehen. Ob das nun ein Vor- oder Nachteil ist, wer weiß das schon? Kommt wohl sehr auf den Kontext an.

2.

Wenn alles irgendwie schon da ist und wenn es im Entstehungsprozess eines Werks vor allem darum geht, neue Verbindungen herzustellen – was macht dann ein gelungenes Werk aus? Meine Antwort darauf wäre: Ein Werk ist dann gelungen, wenn es sich auch mit dem Menschen, der auf dieses Werk trifft, verbindet und ihn berührt.
Im Zweifel wäre mir ein Werk, das mich berührt, immer lieber als eines, das belanglos ist. Das heißt für mich auch: Wenn es einer Maschine gelänge, mich im Herzen mehr zu berühren als ein Mensch, dann wäre das okay für mich. Denn wie oft bekomme ich Musik zu hören, Filme bzw. Serien zu sehen oder Artikel bzw. Bücher zu lesen, die kein bisschen einfallsreich, originär,…berührend sind, obwohl sie von Menschen geschaffen wurden?

3.

Natürlich nehme ich die Gefahren, die durch KI entstehen können, ernst. Den medialen Alarmismus der letzten Monate sehe ich allerdings ziemlich kritisch, denn ich fürchte, dass wir, wenn wir uns für die Angst entscheiden, versäumen, die Möglichkeiten, die gerade entstehen, mitzugestalten und für das eigene Gestalten zu nutzen.
Und die Sache ist die: Mir macht der Mensch aktuell mehr Angst, völlig unabhängig von KI. Denn ist es nicht der Mensch, der an so vielen lebenswichtigen Stellen unlogisch und wider besseren Wissens handelt? Ich wage zu bezweifeln, dass eine Maschine, die durch Automation immer einer gewissen Logik unterworfen sein wird, so widersprüchlich handeln würde wie der Mensch. Ich meine, wir verfügen über die Technologie, auf den Mond zu fliegen und bekommen den Hunger auf der Welt trotzdem nicht auf die Kette. Wer weiß, vielleicht würde eine KI das besser hinbekommen. Plakativ formuliert würde ich also sagen: Ehe wir uns vor künstlicher Intelligenz fürchten, sollten wir es mit der menschlichen Dummheit (ich nenne sie jetzt einfach mal so) aufnehmen. Denn unstrittig ist wohl: KI in den Händen dummer (will heißen: verantwortungsloser) Menschen ist eine ziemlich schlechte Idee.

4.

Teil meines Gesprächs mit Professor Schmidhuber war die Frage nach dem freien Willen. Meine These war, dass Maschinen im Gegensatz zum Menschen nicht mal die Chance auf einen freien Willen haben, sofern es ihn überhaupt gibt. Schmidhubers Gegenfrage: Nutzt der Mensch denn seinen vermeintlich freien Willen? Das war der Teil, der mich am nachdenklichsten gestimmt hat und heute noch beschäftigt. Wenn ich mir angucke, wie dicht getaktet viele Menschen heute leben, so als seien sie Maschinen, die den sozialen Medien und Apps verpflichtet sind, ist die Frage nach dem freien Willen bzw. der gelebten Freiheit tatsächlich eine ziemlich spannende.

5.

Wichtig scheint mir, dass Werkzeuge wie ChatGBT allen Menschen gleichermaßen zugänglich bleiben. Stichwort Chancengleicheit. Sollte es zu einer Frage der Privilegien werden, wie viel KI für den eigenen Vorteil in Anspruch genommen werden kann, wäre das ziemlich übel und vor allem eines: Ausdruck menschlichen Versagens.

Ich hatte von fünf Punkten gesprochen, also lasse ich es dabei für heute bewenden. Gedanken dazu hätte ich wohl noch ein paar. Und jede Menge Fragen. Ich hoffe, Ihr konntet mir folgen und hattet ein bisschen Spaß daran, mit mir „rauszuschwimmen“ 🤓.

Abschließend kann ich sagen:

Als Mensch, der von seiner Kreativität lebt, fürchte ich Werkzeuge wie ChatGBT nicht. Kein bisschen. Ich nehme die Herausforderung an und betrachte sie als Einladung, zur Hochform aufzulaufen.