Von einer Kreativität, die reagiert, und einer, die initiiert
Vor ein paar Tagen habe ich beim Ausmisten einen Blick in meinen Songwriting-Karton geworfen. Schon eindrucksvoll, wie viele Ideen über die Jahre zusammengekommen sind – wobei die Kiste um einiges größer wäre, wenn ich nicht vor geraumer Zeit dazu übergegangen wäre, meine Songideen digital zu erfassen*.


Was mich aber noch mehr beeindruckt hat als die Fülle der Notizen, ist die Selbstverständlichkeit, mit der ich meinen Einfällen als junger Mensch nachgegangen bin. Da taucht zwischen ein paar Liedzeilen aus dem Jahr 2000 dann auch mal ein Vampir auf, den ich daneben gekritzelt habe, obwohl er mit dem Song überhaupt nichts zu tun hat. Wobei: Vielleicht war es auch anders herum: Ich habe vor mich hin gekritzelt, und aus dem Vampir wurde plötzlich eine Liedidee.
Wie auch immer es gewesen sein mag – diese Entdeckung hat etwas Nett-Anekdotisches. Ich teile sie aber aus einem Grund mit Euch, der mehr als nett ist und vor allem mit der Gegenwart zu tun hat:
Es geht dabei um die Frage, ob wir unsere inneren Aufträge hören und in kreatives Handeln übersetzen.
Gehen wir für einen Moment von zwei Arten von Kreativität aus:
☛ Die eine Kreativität ist reaktiv – eine Antwort auf Anfragen und Probleme.
☛ Die andere Kreativität ist initiativ – eine Sache, die wir tun, einfach, weil es geht. Weil uns der Sinn danach steht. Weil wir einem inneren Auftrag folgen.
Als Künstlerin, als Kreativschaffende, schwingt das Pendel meiner Kreativität zwischen diesen beiden Spielarten hin und her. Dabei ist die reaktive Kreativität naturgemäß im Vorteil: Eine Auftragsarbeit, die Geld einbringt. Eine organisatorische Herausforderung, die gelöst werden will. Eine Geburtstagskarte, die pünktlich in die Post gesteckt werden muss. Die initiative Kreativität, die etwas gestaltet, einfach, weil es geht, hat da schon mal das Nachsehen.
Der Dringlichkeit von außen, die mich zu kreativem Handeln auffordert, steht also ein Auftrag von innen gegenüber. Dieser innere Auftrag kann zwar auch dringlich sein. Allerdings fällt er – zumindest bei mir – zumeist leiser und dezenter aus.
Das hat auch mit den Zweifeln zu tun, mit denen innere Aufträge einhergehen:
🤔 Interessiert das überhaupt jemanden?
🤔 Wäre meine Zeit nicht an anderer Stelle besser investiert?
🤔 Kann ich es mir leisten, daran zu arbeiten, auch wenn ich damit (erst mal) kein Geld verdiene?
Ich schreibe nichts Neues, wenn ich feststelle: Der Kopf spielt dabei eine zentrale Rolle. Also ob er es gut heißt, Dinge zu schaffen, deren Nutzen fraglich ist.
Womit ich auf meinen Songwriting-Karton zurückkomme.
In jüngeren Jahren fiel es mir ungleich leichter, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Ich musste ja auch nicht davon leben, könnte ich jetzt argumentieren. Ganz so einfach ist die Sache aber nicht, glaube ich. Ich glaube, dass meine initiative Kreativität es heute auch deswegen schwerer hat, weil meine Ansprüche gestiegen sind. Und noch etwas Anderes kommt hinzu: In einer Welt von Kriegen und Klimawandel fällt es mir schwerer denn je, mir Räume zuzugestehen, in denen ich „einfach mache“. So als hätte ich Sorge, dass ich es mir, indem ich einfach mache, einfach mache. Da ist er wieder, der Kopf.
All das teile ich nicht mit Euch, um es aufzuarbeiten. Ich teile diese Einblicke mit Euch, weil ich vermute, dass Euch diese Art von Hemmung vertraut vorkommen könnte.
Solltet Ihr geglaubt haben, dass es mir als Künstlerin leicht fällt, kreativ zu sein, möchte ich Euch heute sagen: Es fällt mir in diesen Monaten ehrlich schwer, meinen inneren Aufträgen zu lauschen und kreative Initiativen zu ergreifen. Und doch wird Wahrhaftiges, Neues und Schönes nur so entstehen können. Werden wir alle unsere Zuversicht nur wahren können, indem wir nicht nur reagieren, sondern auch initiieren.
Dieser Kreativtum-Text ist also eine Erinnerung an uns alle, Raum zu schaffen für unsere inneren Aufträge und Mut zu fassen, sie in die Umsetzung zu bringen.
Ich für meinen Teil habe in dieser Woche unzählige Stunden damit verbracht, an einem Video zu „Stell dir vor“ zu arbeiten – jener poetischen Aufnahme, die ich Ende Oktober mit Euch geteilt habe (☛ noch mal anhören).
🤔 Interessiert das überhaupt jemanden?
🤔 Wäre meine Zeit nicht an anderer Stelle besser investiert?
🤔 Kann ich es mir leisten, daran zu arbeiten, auch wenn ich damit (erst mal) kein Geld verdiene?
Ich weiß es nicht. Aber ich mache weiter. Und im Tun, in jedem kleinen Schritt des Machens, finde ich wieder einen kleinen Mut. Eine weitere Zuversicht. Und genau diese kleinen Schritte, diesen Mut, diese Zuversicht, möchte ich auch Euch ans Herz legen.
*) Ich benutze fürs Komponieren und sehr vieles Andere schon seit Jahren die App ☛ Notability. Was ich daran besonders schätze: Ich kann dort auch Audio-Aufnahmen erstellen, und die App synchronisiert sich verlässlich mit all meinen Geräten.