Gefühlsskizzen

In meinem Text Brauchen wir vielleicht den Begriff “schopfen”? ging es um unsere kreative Einstellung – worin sie besteht und welchen Unterschied sie macht. Es wurde dabei auch deutlich: Am Fühlen kommen wir nicht vorbei.

Dazu passend gibt es diese zwei Tricks:
einen kreativen und einen pragmatischen.

Denn aus meiner Arbeit mit Menschen (und auch von mir selbst 🤔) weiß ich, wie schwer es sein kann, die eigene Gefühlslage überhaupt zu benennen.

Mir fällt dazu vor allem meine Zeit an der Grundschule ein. Im Rahmen meiner Projektstelle “Erfahrungsraum Musik” konnte ich immer wieder feststellen, dass die Kinder kaum mehr als die Gefühls-Beschreibungen “traurig, glücklich und wütend” kannten. Dass beispielsweise Tränen auch aus Rührung kommen können und dass das etwas Anderes ist, als wenn sie aus einem Gefühl von Schmerz fließen, war für viele Kinder eine Unterscheidung, von der sie noch nie gehört hatten. Also erforschte ich die Gefühlswelten mit ihnen mithilfe von Improvisationen am Klavier. Und damit die Kinder nicht an Wörtern scheiterten, die sich nicht kannten, baute ich ihnen diese Brücke:

Ich lud sie ein, die Augen zu schließen, eine Klavierimprovisation von mir auf sich wirken zu lassen und nach inneren Bildern und Filmen Ausschau zu halten, die entweder von sich aus entstanden oder die sie sich aussuchten, weil sie sie mochten. Meine Improvisationen enthielten verschieden emotionale Färbungen. Wenn den Kindern danach war, konnten sie anschließend erzählen, was sie erlebt und wie sie sich dabei gefühlt hatten.

Der Trick bestand darin, dass die Kinder ihre inneren Regungen wie Gefühlsskizzen beschreiben durften: Dann konnte ich plötzlich auch fliegen und bin dem Schmetterling hinterhergeflogen. Das gab mir Gelegenheit, ihnen Wörter wie “erleichtert” oder “beschwingt” anzubieten. Dieses Teilen der Kinder, dieses “Verhandeln” mit ihnen, welches Wort wohl zu ihrem Empfinden passte, war immer sehr eindrucksvoll, berührend und belebend.

Trick #1: In Situationen, in denen es schwer ist, Gefühle zu fassen zu bekommen, kann es helfen, sich mit Vergleichen zu behelfen: Bilder oder Filme. Sie dürfen gerne widersprüchlich ausfallen, im ersten Moment überhaupt keinen Sinn ergeben oder wie “Quatsch” anmuten. Entscheidend sind das Bewusstwerden und die Bereitschaft, sich irgendwie auszudrücken. Dann ist der erste Schritt gemacht. Ein Dialog kann entstehen – entweder im Innern mit uns selbst oder im Außen mit einem anderen Menschen.

Dazu noch ein eigenes Beispiel:

Vor geraumer Zeit habe ich versucht, eine widersprüchliche Gefühlslage auszudrücken, die mich umtrieb: Einerseits fühlte ich mich beschwert. Andererseits ging mit diesem Gewicht eine gewisse Substanz (im Sinne von Bedeutsamkeit) einher, die ich nicht missen wollte. Angefangen mit dem Bild eines Steins, landete ich durch inneres Kramen und Phantasieren bei dem Film eines Steins, der über die Wasseroberfläche titscht. Das brachte mich zum Schmunzeln und vermittelte mir ein versöhnliches Gefühl. Indem ich versucht hatte, mein inneres Empfinden besser zu verstehen (und wohlgemerkt nicht zu verändern!), hatte sich das Gefühl weiterentwickelt hin zu etwas, das sich besser und wegweisender anfühlte – und immer noch echt.

Die Mutigen können aus dieser inneren Gefühlsskizze eine physische machen, so wie ich gestern Vormittag auf dem iPad (s. oben). Warum? Weil dadurch kreative Energie freigesetzt wird – eine kreative Energie, die vom Erstellen einer Skizze rüber ins restliche Leben schwappen kann.

Es geht wahrlich nicht darum, ob Ihr zeichnen oder malen könnt. Es geht einmal mehr um das Machen. Überrascht Euch selbst. Es wird sich großartig anfühlen.


Unserem Trick #2 geht folgender Erfahrungswert voraus:

In meiner Mediationsausbildung bin ich dem Phänomen begegnet, wie schwer es uns häufig fällt, Gefühle so zu benennen, dass daraus keine Anklage wird. Unvergessen der Frust einer Kursteilnehmerin, weil sie in nahezu jeder Rollenspiel-Situation auf die Beschreibung “verletzt” zurückgreifen wollte, nur um dann wieder daran erinnert zu werden, dass das aber kein Gefühl sei – zumindest keine Gefühlsbeschreibung, mit der sich konstruktiv arbeiten ließe. Was haben wir Tränen gelacht in diesen steilen Lernkurven!

Nicht schlecht gestaunt habe ich seinerzeit, wie begrenzt auch mein eigenes Vokabular war, wenn es darum ging, Gefühle möglichst konstruktiv, also bei-mir-bleibend und mit dem Blick nach vorne, zu benennen. Ich hatte so meine üblich-verdächtigen Wörter und durfte durch die Ausbildung erleben, wie hilfreich es ist, das eigene Gefühls-Vokabular zu erweitern und immer wieder aufzufrischen.

Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle gerne das Buch Selbstresonanz. Im Einklang mit sich und seinem Leben von Sarah Peyton empfehlen, das mir eine Freundin aus der damaligen Ausbildungsgruppe empfohlen hat. Darin enthalten sind u. a. sehr hilfreiche Gefühls-Listen.

Trick #2 ist nämlich ganz einfach dieser:
Beschäftigt Euch doch mal mit diesen oder ähnlichen Listen und guckt mal, um welche Wörter Ihre Euren Wortschatz erweitern könntet, um Euren und den Gefühlslagen Eurer Mitmenschen verständnisvoller, also liebevoller, begegnen zu können.

Und ja, stimmt: Trick #1 und Trick #2 lassen sich ganz wunderbar miteinander kombinieren.

In einer sehr ähnlichen Nachbarschaft wohnt übrigens meine Übung (Wie) Kann Sinn führen?.


Wozu das Ganze noch mal?

❤︎ Weil’s Spaß macht.
❤︎ Weil Euch Tricks wie diese eine Möglichkeit bieten, die Opfer-Rolle zu verlassen und in eine gestalterische Kraft zu treten.
❤︎ Weil Ihr Euch auf diese Weise eine Menge Knoten erspart und im Gegenzug die Chance nutzt, mit Klarheit nach vorne zu agieren.