Ein Telefonat, das nachwirken wird.
Seit wir Teenager waren, kennen J. und ich einander schon. Wir kennen einander länger als nicht. Noch so eine Sache, die nicht absehbar war: Dass nicht ich in den USA landen würde, sondern sie. Beides wegen der Liebe. Manchmal ist das Leben so, dass ein Lieben zu einem Geblieben wird, und nicht wir entscheiden.
Unterschiedliche Zeitzonen, immer noch die freundschaftlich geteilte Herzregion.
J. erzählt von einer Nachbarin, einer Freundin, die sich beim Gespräch auf der Terrasse, es war eigentlich idyllisch, zu politischen Positionen bekannte, die J. vor den Kopf stießen. Beinahe sei es zum Streit gekommen. Seitdem Verunsicherung. Trauer. Wut.
„Was mach ich damit?“, fragt sie.
Wenn aus Gartenzäunen Mauern zu werden drohen, weil Spaltung an die Pforte einer Nachbarschaft klopft. Eine Spaltung, von der Alle sprechen, als sei sie eine Gewitterfront, die sich nicht aufhalten lässt, drüben wie hier. Eine Rivalität der moralischen Überlegenheiten.
Überlegen.
Überlegen wir gründlich genug, um zu erkennen, dass uns dieses Richtig oder Falsch an der Nase herumführt, im Kreis noch dazu?
J. und ich sprechen über die Gedanken, die in Gefühlen entstehen. Über die Gefühle, die in Schmerzen entstehen. Über die Schmerzen, die in Familien entstehen. J. sagt, die Nachbarin, die Freundin, habe es schwer gehabt in ihrer Familie. Sehr schwer. In gewisser Weise könne sie ja sogar nachvollziehen, woher die radikale Einstellung komme. Ein Schutz. Eine Angst. Aber kann sie ihr das durchgehen lassen?
Menschlichkeiten stehen auf dem Spiel. Gerechtigkeiten. Das Fundament einer Freundschaft. Die Stabilität einer Gesellschaft.
Geht es denn jetzt um das kleine oder das große Bild? Oder ist das kleine das große?
Wenn eine politische Spaltung zwischen uns in Wahrheit ein menschlicher Schmerz in uns wäre. Dann wäre es eine Angst, die uns spaltete. Eine Angst vor dem alten oder einem neuen Schmerz. Dann wäre es keine hilfreiche Idee, einander politisch zu begegnen, überlegen J. und ich. Sondern es ginge ums Aufmachen. Den Anfang zu machen und über das zu sprechen, was uns in unserem Innern, unter den emotionalen Hornhäuten, bewegt. Wir müssten eigener Überlegenheit auf die Schliche kommen. Den Mut entwickeln, das Herz aufzuhalten. Also „aufhalten“ nicht im Sinne von stoppen. Sondern „aufhalten“ im Sinne von: „Ich baue aber keine Mauer.“
Mehr Fragen als Antworten. Sicher können wir uns am Ende unseres Telefonats bei all dem nicht sein. Vielleicht aber in einem Punkt: Diese Spaltung, von der Alle sprechen. Sie ist keine Gewitterfront, der wir ausgeliefert sind.