Eine Geschichte über das Schleifen lassen

(2017)

„Lässt sich das Leiden vermeiden?“, fragte der Diamant,
als das Leben ihn roh am Rand des Weges fand.
„Nein, ich fürchte nicht.“, sprach da ganz frei das Leben.
„Aber es macht dich schön und deine Kanten eben.
Er wird wehtun und schmerzen – der polierende Eingriff.
Aber edel wirst du sein nach einem solchen Feinschliff.“
„Gut, dann leg halt los. Ich bin bereit zu scheinen.
Lieber froh als roh unter den vielen Steinen.“
Es ging zu Werke das Leben mit ganz sicherer Hand.
Mal mit Sanftheit, mal mit Stärke, wie’s es grad befand.
Es schliff hin und her. Mal hoch, mal quer, mal runter.
„Aaah!“, rief unser Freund, „Werd‘ ich je wieder munter?“
„So hab Geduld, mein Lieber. Hab Vertrauen in mich.
Lass dich fallen im Schlaf. Gewiss, ich wecke dich.“
Bald schon träumte der Stein von seiner neuen Brillanz,
seinem hübschen Leben im neuen Glanz.
Erst ein Flüstern, dann ein Rufen: „So, jetzt komm zurück!“
Da! Dem Leben war’s gelungen: ein Meisterstück.
„Fremd und wunderschön, und doch mit dir verwandt:
Kanten Schimmer und Form. Du bist ein Diamant!“
Und das Leben war zufrieden. Oh, es liebte die Wandlung!
Dieses Transformieren: seine Lieblingshandlung.